Der Dengelegeist – Eine uralte Sagengestalt des Hochschwarzwaldes
Seit Jahrhunderten wurden die Geschichten und Erzählungen über den Dengelegeist – oder einfach nur Dengele – durch mündliche Überlieferung von Generation zu Generation in den Tälern rund um den Feldberg weitergegeben. Den ersten schriftlichen Nachweis über seine Existenz und sein Wirken verdanken wir dem alemannischen Heimatdichter Johann Peter Hebel (1760 – 1826), von dem im Jahr 1820 die Erzählung „Geisterbesuch auf dem Feldberg“ erschien.
In dieser Geschichte erzählt ein verirrter Wanderer, wie er nachts um 11 Uhr auf dem Feldberg das Gespräch zweier Geister belauscht hat, von denen einer der Dengele war. Im Verlauf des Gesprächs verwandelt sich der Dengele in einen Engel, der sich nach Todtnau (eine Gemeinde im oberen Wiesental) begibt, um dort einem todkranken Mädchen beim Sterben zu helfen.
Damit sind wir bei den vielen unterschiedlichen Aspekten oder Facetten, mit denen die Gestalt des Dengele ausgestattet ist:
- Hebel beschreibt ihn als freundlichen, gütigen Geist – aber auch als Todesbote.
- Im badischen Sagenbuch von 1840 wird angemerkt, dass Hebel den Dengelegeist viel zu lieblich dargestellt hätte. Das Volk sähe in ihm gewöhnlich einen großen, schwarzen Mann, der eine Sense geschultert habe.
- Die mündlichen Überlieferungen beschreiben den Dengele durchaus auch als freundliches und hilfsbereites Wesen, das den Bauern, die ihm wohlgesonnen waren, beim Mähen und Einbringen der Ernte geholfen habe.
- Den Bauern, die ihm nicht wohlgesonnen waren oder ihn ärgerten, habe er aber derbe Streiche gespielt. So hat er z.B. deren Vieh die Schellen (Kuhglocken) weggenommen und es in die Wälder getrieben, wo es der Bauer über Wochen und Monate mühsam wieder zusammensuchen musste.
- Dem Dengele wurden auch grausame Züge zugesprochen. Manch einer, der auf den Dengele geflucht habe, sei von diesem in die Irre geführt worden und war nie wieder gesehen.
- Auch als Klopfgeist wurde der Dengele gesehen, da man dessen Dengeln (das Schärfen der Sense mit einem Hammer) durch die Wälder hallen hörte.
- Der Dengele war allgegenwärtig im Leben der Bevölkerung. Den Kindern wurde mit dem Dengele gedroht, wenn sie nicht artig waren. Dem Zecher, der spät abends bier- oder weinselig nach Hause wankte und im Straßengraben landete, hatte der Dengele eben ein Bein gestellt, und bei Grundstücksstreitigkeiten unter den Bauern musste der Dengele gar als Grenzstein-Verrücker herhalten.
Gar nicht gut zu sprechen war der Dengele auf die geistlichen Herren des Klosters St. Blasien, hatten diese doch wiederholt versucht, ihn zu bannen. Dazu seien sie in großer Prozession auf den Feldberg hinauf gezogen, hätten ein Feuer entfacht und wollten mit Gebeten und Bannsprüchen den Dengele aus seinem Reich vertreiben. Dieser habe aber jedes Mal eine große Windsbraut entfacht, mit der er das Feuer ausblies und die Mönchlein mit Stein- und Hagelschlag vom Berg hinunter jagte.
Der Dengelegeist mit all seinen Facetten lebt heute in der Gestalt des Lenzkircher Dengele, der Leitfigur der Lenzkircher Fasnet, weiter. Der Schöpfer der Dengelemaske, Heiner Stoll, hat es meisterhaft verstanden, den Charakter des Dengelegeistes in den beiden unterschiedlichen Gesichtshälften der Maske darzustellen. Im Profil betrachtet zeigt die eine Hälfte die freundliche, listige, heitere Seite des Dengele, die andere stellt seine dämonische – ja grausame – Seite dar. Der Lenzkircher Dengele zählt damit zu den schönsten Charaktermasken in der Süddeutschen Fasnachtslandschaft.
10/2019 Rolf Burgert